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Die europäische Integration, die Liberalisierung der Wirtschaft und die Globalisierung haben das vergangene Jahrzehnt geprägt. Das Ende des Kalten Krieges löste in vielen Ländern eine zum Teil radikale Veränderung der Politik und des nationalen Selbstbildes aus. Zwar bestand in Finnland kein Anlass zu einer grundlegenden Neuorientierung, doch auch hier wurden erneut Fragen laut: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wie gehen wir mit der neuen Situation um?

Geographie und Geschichte haben seit jeher Einfluss darauf, wie Finnland wahrgenommen wird. Aus geographischer Sicht werden Natur, Klima, Landschaften und Bevölkerung beschrieben, während die Geschichte von der menschlichen Besiedlung, der Kultur und der nationalen Entwicklung berichtet. Vor allem in Zeiten politischer Umbrüche wird es als wichtig empfunden zu beschreiben, wie Finnland seine spezifische politische und kulturelle Prägung erlangt hat.

Östliche oder westliche Identität

Die finnische Identität lässt sich innerhalb des Rahmens definieren, den die Lehren der Geschichte einerseits und die Erwartungen an die Zukunft andererseits bilden. Die Geschichte des Landes wurde durch seine geographische Lage in Nordeuropa und durch seine Nachbarschaft zu zwei Großmächten beeinflusst. Die Zukunft wiederum ist abhängig von der Entwicklung seiner geopolitischen Position zwischen Ost und West, zwischen Russland, Westeuropa und Skandinavien.

Die geographische Lage und die allgemeine politische Entwicklung haben Einfluss darauf, was und wie über Finnland berichtet wird. In Friedenszeiten präsentiert sich die finnische Identität als Wachstumsprozess, als Bericht über das Suchen und Finden des eigenen kulturellen und sozialen Wesens. Wenn Machtpolitik dominiert, wird ein anderer Aspekt in diesem Bericht sichtbar. Finnland wird dann als “Grenzland” positioniert, das weiterhin nach seiner Identität zwischen Ost und West sucht.

Die Konzeption Finnlands, der Nation und der finnischsprachigen nationalen Kultur wurde im 19. Jahrhundert geschaffen, als das Land Teil des russischen Imperiums war. Wie die anderen nationalen Minderheiten im russischen Reich, waren die Finnen durch Ethnizität, Sprache und gemeinsame Herkunft miteinander verbunden. Der Aufbau der Nation war ein Prozess der Identifikation mit dem einfachen Volk. Der finnische Nationalismus gründete sich auf die Nationalsprache und -kultur sowie auf einen starken Staat und auf die Provinzen.

Von seinen inneren Strukturen her gleicht Finnland den westeuropäischen Ländern. Seiner staatlichen Prägung, seiner Verwaltung und seiner Bevölkerungsstruktur nach ist es ein skandinavisches Land. Sein soziales und demokratisches Fundament hatte seinen Ursprung im unabhängigen, Land besitzenden Bauernstand. Nach der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1917 blieben die Beziehungen zu Russland und zur Sowjetunion ein zentraler Faktor; jede Veränderung in diesen Beziehungen führte zu einer politischen Neueinschätzung des Selbstbildes.

Die Flagge, die sich Finnland 1918 gab, zeigt ein Kreuz, ein Symbol, das an die skandinavische Tradition von Staat, Kirche und Flagge anknüpft. Die christliche und speziell die evangelisch-lutherische Tradition verbindet Finnland seit Jahrhunderten mit den anderen skandinavischen Staaten. Unter Hinweis auf das Luthertum werden bis heute zahlreiche finnische Charakteristika erklärt, etwa der ursprünglich bäuerliche Fleiß, das Arbeitsethos, die Würdigung einer einfachen Lebensweise und die persönliche Beziehung zu Gott.

Das Selbstbild Finnlands ist weiterhin geprägt durch die Beziehung zu Schweden und zur schwedischen Sprache, der zweiten offiziellen Landessprache. Die sechshundertjährige gemeinsame Geschichte hat in den staatlichen, politischen und institutionellen Strukturen Finnlands unauslöschliche Spuren hinterlassen. Das Verhältnis zu Schweden, wo heute Hunderttausende Immigranten finnischer Abstammung leben, ist nach wie vor vielschichtig und bedeutsam.

Finnland ist flächenmäßig ein großes Land, hat aber nur rund fünf Millionen Einwohner. Die Finnen betrachten sich daher als Bürger eines “kleinen Landes” und sind sich der Tatsache bewusst, dass sie eine seltene Sprache sprechen. Finnland wird häufig als entlegenes, kaltes und mythisches Land dargestellt, dessen Einwohner blond sind und in zwei Sprachen schweigen. Nicht selten heißt es auch, die Finnen seien finnisch-ugrischer Abstammung und ihre Sprache sei dem Ungarischen ähnlich. Des Weiteren gelten die Finnen als Sport- und Saunaenthusiasten. Diese Vorstellungen sind im Verlauf einer langen Zeit entstanden und halten sich hartnäckig.

Die Finnen pflegen über ihre “nationale Identität” zu diskutieren, als handle es sich dabei um eine unveränderliche Größe. In Wirklichkeit ist es heute schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden für ein mehr als fünf Millionen umfassendes Volk, das sich genauso mit den Herausforderungen der Globalisierung und der multikulturellen Gesellschaft auseinandersetzen muss wie das übrige Europa. Die Finnen selbst sprechen gern von der Natur, von ihrer Beziehung zum Wald, zum Meer, zu Schären und Seen, zu den Fjells in Lappland und zu “grünen” Werten im Allgemeinen. Trotz der schnellen Urbanisierung nach 1945 sind die Finnen ihrer eigenen Überzeugung nach eng mit der ländlichen Umgebung und der bäuerlichen Lebensweise verbunden. Der Wohlfahrtsstaat liegt ihnen am Herzen, und sie sprechen gern über die Wichtigkeit einer guten Ausbildung, über die Gleichberechtigung der Geschlechter und über die Bedeutung des öffentlichen Sektors für die gleichmäßige Verteilung des Wohlstands.

Land oder Stadt?

Die soziale Hintergrund der finnischen Identität ist eng verknüpft mit der Entwicklung im 20. Jahrhundert. In dieser Zeit legte Finnland einen langen Weg zurück: Die Menschen überwanden die Armut, erlangten eine allgemeine Schulbildung und erlebten soziale Mobilität und Urbanisierung. Das ganze Jahrhundert hindurch wurde nach politischen und sozialen Mitteln zur Aufhebung von Klassengegensätzen gesucht, mit dem Ziel einer freien, demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft, die sich auf ein hohes Bildungsniveau, auf Gerechtigkeit, Gemeinschaftssinn und gemeinsame Verantwortung gründet. In den meisten europäischen Ländern verlief die Entwicklung in der gleichen Richtung, doch die Schnelligkeit des Wandels und der Konsens über die politischen Ziele waren spezifisch finnische Charakteristika.

Jede Generation musste sich an immer wieder neue Gegebenheiten anpassen. Die Finnen waren mobil, sie befanden sich auf dem Weg vom Land in die Stadt, vom Mangel zum Wohlstand, zum sozialen und beruflichen Aufstieg, der durch Bildung zu erreichen war. Diese Entwicklung machte Helsinki und seine Umgebung zum führenden Wachstumszentrum. Der soziale Umbruch rückte die Probleme des städtischen Lebens ins Licht, und für lange Zeit prägte Angst vor der Stadt die öffentliche Debatte. Die finnische Identität ist ein Ergebnis der Wechselwirkung der beiden Kraftfelder Land und Stadt, wobei geschichtliche Ereignisse eine wesentliche Rolle spielen. Zentrale Elemente des nationalen Selbstbildes waren bäuerliche Lebensweise, Provinzialismus und das Ideal der Volksbildung. Jahrzehntelang waren der starke Staatsapparat und das bäuerliche Hinterland Garanten der innenpolitischen Einheit. Gestützt wurde diese Konstellation durch die Idealisierung der ländlichen Lebensweise, die Natur- und Waldsymbolik und die aus dem Kalevala schöpfende Nationalromantik.

Der große Strukturwandel in den 1960er Jahren führte schließlich Hunderttausende Kleinbauern auf der Suche nach Arbeit in die Städte Südfinnlands – in einem der spätesten und schnellsten Urbanisierungsprozesse Europas. Gleichzeitig schufen die kulturelle Revolution und der Umbruch der Werte, der Anstieg des Lebensstandards und die Migrationsbewegung mehr Raum für urbane Lebensformen. Die neue Ideologie propagierte eine moderne, individualistische Lebensweise, kulturelle Mobilität, Rationalität, Wertepluralismus und Internationalität, Gleichberechtigung, Demokratie und Bildung. Der soziale Wandel nahm einige Zeit in Anspruch, doch die kulturelle Revolution der 1960er Jahre ermöglichte die Loslösung von den traditionellen Institutionen und der kulturellen Uniformität der Agrargesellschaft.

Trotz des schnellen sozialen Wandels ist die finnische Identität fest mit ihren ländlichen Wurzeln verwachsen. Es wird großer Wert auf die regionale Entwicklung gelegt, wie beispielsweise das dichte Netz der Provinzuniversitäten und -hochschulen zeigt. Infolgedessen ist in Finnland heute noch eine Land-Nostalgie anzutreffen, unter anderem in der bildenden Kunst, in der Literatur und im Film. Besonders erfolgreich sind Werke, in denen der große Strukturwandel geschildert wird, das eigenhändig erbaute Haus und der selbst bewirtschaftete Acker, der Umzug in die Stadt, die entbehrungsvolle Kriegszeit und die eventuelle Rückkehr in die ländliche Idylle. Die städtische Szenerie und die urbane Lebensweise wurden von bildender Kunst, Film und Literatur erst recht spät entdeckt.

Andererseits ist Finnland ein modernes, postindustrielles Land, das entschlossen in die Technologie investiert und die moderne Technik als Chance betrachtet. Die industrielle Revolution ist ein Teil des “großen Berichtes”; nicht selten wird Finnland auch als Land der Ingenieure bezeichnet. Durch die Forstindustrie wurde das Land bereits im 17. Jahrhundert in den Welthandel eingebunden. Später mehrte die Nutzung der modernen Technologie den Wohlstand und verbesserte den Lebensstandard. Die Bedeutung des Waldes ist bis heute an der Struktur der finnischen Industrie abzulesen, in der das “grüne Gold” nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. Der Wald bot Rohstoff und Arbeit, Wohlstand und Sicherheit, Handel und Reichtum, ihm verdankten nicht nur die Besitzer der Holzfabriken materielle Vorteile, sondern gleichermaßen die Holzfäller, die Flößer und die Arbeiter in der Papierindustrie. Nicht zuletzt hatte der Wald geopolitische Bedeutung. Eine Quelle der Kreativität und Entspannung ist er bis heute geblieben.

Neben der Tatsache, dass viele Finnen Wald besitzen und sich für dessen Pflege interessieren, bildet auch die rege Sommerhütten- und Ferienhauskultur eine Nabelschnur zwischen Stadt und Land. Es gibt in Finnland 400 000 Sommerhäuser, meist am Meer oder an einem See, in Kuusamo oder in Lappland. Viele dieser Häuser sind heute winterfest und werden nicht nur im Sommerurlaub, sondern das ganze Jahr hindurch an den Wochenenden genutzt. Immer mehr Finnen erwerben ihr Feriendomizil in der Heimat ihrer Eltern oder Großeltern. Das Sommerhaus ist gewissermaßen der eigentliche Lebensraum der Finnen, denn der Kern der finnischen Mentalität erwächst auch heute noch aus der Verbindung zu Natur, Landschaft und Stille, wobei der Wechsel der Jahreszeiten ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

In der Erinnerung der Menschen lebt das alte ländliche Milieu fort, obwohl es heute ebenfalls urbanisiert ist und die Landwirtschaft einen Strukturwandel durchlaufen hat. Der erste finnischsprachige Roman, Seitsemän veljestä (1870; dt. Die sieben Brüder, 1921) von Aleksis Kivi, schildert die vom Lauf der Welt noch unberührte Agrargesellschaft. Die elternlosen Brüder sind Repräsentanten des großen Berichts über den Drang nach Fortschritt und Bildung, der die primitive Gemeinschaft zivilisierte. Kivis Darstellung der gegen die feinen Herren rebellierenden Männer aus dem Volk ist zum nationalen Mythos geworden. Heute leben die Finnen nicht mehr wie die sieben wilden Brüder, doch die Naturnähe, die sie sich bewahrt haben, ersetzt die agrarischen Wertvorstellungen.

Erinnerungen, Symbole und Feste

Die Landschaft ist ein relativ eindeutiges und allgemein akzeptiertes nationales Symbol, denn in Finnland wie in den anderen nordischen Ländern wurde die Beziehung zur Natur bereits im 19. Jahrhundert mit dem Patriotismus verknüpft. Die alltägliche Waldlandschaft wurde zum Sinnbild der Heimat und des Vaterlandes; mit ihr war das Gefühl nationaler Kontinuität verbunden. Der chaotische, wilde und unbekannte Wald verwandelte sich so in ein Symbol der Gemeinschaft, er wurde zum Motiv in Kunst und Werbung, zum Kennzeichen auf Geldscheinen und Aktien, zur Nationallandschaft.

In der Epoche der Industrialisierung konservierten Kunst und Kunstgewerbe ein bestimmtes Bild vom Volk und von der Natur. So zeigen die Werke aus der goldenen Zeit der nationalen Kunst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert anspruchslose Menschen aus dem einfachen Volk in ihren Rauchhütten, auf ihren Höfen oder vor einer Kirche, bei der Arbeit auf ihrem Schwendacker oder beim Lernen. In einem Landschaftsgemälde wird auch die Nationalhymne Maamme (Unser Land, 1848, F. Pacius – J. L. Runeberg) bildlich dargestellt.
Als zentrales Symbol der finnischen Identität erscheint hier eine Landschaft im Binnenland, ein waldumkränzter, von schräg oben gesehener See. Andere Vertreter dieses Genres zeigen dramatische und teils düstere Wälder, Stromschnellen, Anhöhen oder Winterlandschaften. Die Gemälde und Fresken, die das 1835 erschienene Nationalepos Kalevala illustrieren, greifen ebenfalls auf diesen als national empfundenen Themenkreis zurück. Heute gibt es in Finnland den offiziellen Begriff “Nationallandschaft”, der sowohl die natürliche Landschaft als auch die Agrarlandschaft sowie historische Monumente umfasst. Der Begriff entspricht dem Bild von Finnland, das sich Touristen immer wieder präsentiert.

Am 6.12. wird in Finnland zu Ehren der Unabhängigkeitserklärung, die das Parlament an diesem Tag im Jahr 1917 mit knapper Mehrheit verabschiedete, der Unabhängigkeitstag als Nationalfeiertag begangen. Im Lauf der Zeit, und insbesondere nach 1945, ist es in allen Bevölkerungsschichten üblich geworden, diesen Tag zu feiern. Dabei stehen diejenigen Gruppen und Institutionen im Mittelpunkt, die sich besonders für die Erlangung der Unabhängigkeit engagiert haben: die Studenten, das Militär und der Staatspräsident. Überall sind die Farben der finnischen Flagge, Blau und Weiß, zu sehen: im Fernsehen, in den Schaufensterdekorationen und an den beiden Kerzen, die viele Familien auf die Fensterbank stellen. Der Unabhängigkeitstag, mitten im dunklen und häufig auch kalten Winter, wird feierlich und würdevoll begangen; erst in allerjüngster Zeit sind auch leichtere und sogar karnevalistische Nuancen zu erkennen. Zu den festen Bestandteilen der Feierlichkeiten gehören die Fackelzüge der Studenten zu den Heldengräbern und der glanzvolle Empfang beim Präsidentenpaar, der live im Fernsehen übertragen wird.

Die Geschichte des unabhängigen Staates Finnland umfasst also weniger als ein Jahrhundert. Im Prozess der staatlichen Konstituierung war die Erlangung der Unabhängigkeit auf das engste mit dem blutigen Bürgerkrieg zwischen den Roten (vorwiegend städtische Arbeiterschaft und Landproletariat) und den Weißen verflochten, wodurch die Einstellung zu Nation und Staat sowie die nationale Eintracht lange überschattet wurden. Die Vergangenheitsbewältigung war ein langwieriger Prozess, der bis heute noch nicht völlig abgeschlossen ist. Infolge des Bürgerkriegs wurde ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung als “unpatriotisch” diffamiert. Erst in den 1960er Jahren wurde die politische Reintegration möglich.

Das Verhältnis zu Russland beziehungsweise zur Sowjetunion sowie die gesellschaftlichen Klassengegensätze waren untrennbar und widersprüchlich mit dem Bürgerkrieg und dessen späteren Auslegungen verbunden. Jede Generation musste auf ihre Weise Stellung nehmen zu der Entwicklung, die zum Bürgerkrieg geführt hatte, zu den Ereignissen und Folgen des Krieges sowie zu den innen- und außenpolitischen Beziehungen Finnlands. So wurde das Jahr 1918 zu einem schmerzhaften Kristallisationspunkt der nationalen Geschichte, für den nach 1945 Möglichkeiten der Versöhnung gesucht wurden.

Das 20. Jahrhundert insgesamt war durch eine Reihe wichtiger Ereignisse und herausragender Persönlichkeiten markiert. Anlass zum öffentlichen Gedenken geben neben dem Unabhängigkeitstag auch die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts (1906, auch für Frauen) sowie der Winter- und der Fortsetzungskrieg (1939-1940 und 1941-1944), Separatkriege gegen die Sowjetunion, in denen Finnland sich lange heldenhaft behauptete, aber schließlich doch unterlag. Die Kriegszeit erweiterte das Selbstbild der Finnen um einige neue, teils mythisch überhöhte Züge. Durch Kriegskorrespondenten wurde die Tapferkeit der finnischen Soldaten in der ganzen Welt bekannt. In seiner idealen Ausprägung war der Geist des Winterkrieges ein solidarischer Kampf für die gemeinsame Sache. Die allgemeine Mobilmachung verstärkte den nationalen Zusammenhalt, und die Arbeiterschaft beteiligte sich bereitwillig an der Verteidigung des Landes.

Es war charakteristisch für Finnland, dass möglichst alle Kriegsgefallenen in die Heimat überführt und auf dem Friedhof ihres Heimatorts in einem Heldengrab in der Nähe eines Kriegerdenkmals bestattet wurden. Durch Besuche an diesen Gräbern erweisen seither Veteranen und Studenten an nationalen Gedenktagen den Toten die Ehre. Literarische Werke, Memoiren, Schauspiele, Filme und die Geschichtsschreibung haben die Kriegserlebnisse im kollektiven Gedächtnis verankert, und das Eichenlaubemblem der Veteranen ist zum Symbol des Festhaltens an der nationalen Unabhängigkeit geworden. Finnland und seine Hauptstadt wurden während des Krieges zu keiner Zeit besetzt, die politische Souveränität blieb bewahrt.

In Finnland ist es üblich, auch die Gedenktage bedeutender Persönlichkeiten zu feiern. Das sind sowohl Repräsentanten der Literatur, der bildenden Kunst und der Musik als auch Staatsmänner, Politiker, Militärführer und andere nationale Schlüsselfiguren. Die älteste Gruppe besteht aus den geistigen Architekten der nationalen Identität, Schriftstellern und Meinungsbildnern (H. G. Porthan, J. W. Snellman, J. L. Runeberg, Z. Topelius, Minna Canth und Aleksis Kivi), gefolgt von Militärs (Marschall Mannerheim), Staatsmännern, die das Land durch kritische Zeiten lotsten (die Präsidenten Risto Ryti, J.K. Paasikivi und Urho Kekkonen), sowie international bekannten Künstlern (Eliel Saarinen, Jean Sibelius und Alvar Aalto). Gefeiert und durch Denkmäler geehrt werden auch verstorbene oder lebende Sportgrößen wie der Läufer Paavo Nurmi und der Formel-I-Fahrer Mika Häkkinen. Außerdem wurden die ehemaligen Wohnsitze verschiedener bedeutender Persönlichkeiten in Museen umgewandelt; zu den ältesten zählen das Runeberg-Museum in Porvoo und das Mannerheim-Museum in Helsinki.

Kunst, Kultur und Kulturpolitik

Die frühe finnische Nationalbewegung ging davon aus, dass die Stärke eines kleinen Volkes in seiner Bildung und Kultur liegt. Insbesondere in zwei kulturellen Blütezeiten leisteten Kunst, Literatur, Kunstgewerbe, Design und Architektur ihren Beitrag zur Entwicklung der finnischen Identität: in der Nationalromantik Ende des 19. Jahrhunderts und in der Zeit des modernen Funktionalismus. In beiden Epochen ging es darum, eine dem “Zeitgeist” entsprechende Kunst und Kultur zu schaffen, indem internationale Vorbilder zu finnischen Formen umgestaltet wurden. Klare Formen, Authentizität, Sparsamkeit, praktische Nutzbarkeit, Schlichtheit und “edle Einfachheit” sowie Holz, Wald und Natur wurden Charakteristika der finnischen Kunst. In politischem Sinn wurde die Architektur für den Aufbau einer neuen Gesellschaft eingespannt; dabei reflektierte die Nationalromantik den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts, der Funktionalismus den modernen, kosmopolitischeren republikanischen Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts.

Finnland wurde buchstäblich erst im 20. Jahrhundert erbaut. Der Begriff Finnish Design kam nach 1945 auf, als finnische Designer zahlreiche internationale Preise gewannen. Ihre Entwürfe waren vom Optimismus des Wiederaufbaus nach dem Krieg geprägt. Angesichts des Baubooms bestand eine rege Nachfrage nach neuen Inneneinrichtungen, und die Designer verstanden es, innovative, schöne Gebrauchsgegenstände zu schaffen. Werke der Architektur und des Designs fanden außerordentliche Anerkennung als künstlerische Großtaten und kulturelle Exportprodukte und wurden zugleich als Symbole der modernen Gesellschaft betrachtet. Einen besonders hohen Status erlangte der Architekt Alvar Aalto (1898-1976), dessen Werke zum nationalen Erbe der “Republik Finnland” wurden. Aalto verband den international orientierten Funktionalismus mit finnischen Idealen und verwendete finnisches und europäisches Material wie Glas, Holz, Sperrholz, Backstein und Marmor. In der Textilbranche beschritt die Firma Marimekko mit ihren jungen Designern einen ähnlichen Weg.

Historisch gesehen sind bildende Kunst und Musik die “nationalen Künste”. Nach ihrer goldenen Epoche, d.h. nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, stand die bildende Kunst hohen nationalen Erwartungen gegenüber. Nach 1917 waren Bildhauerei und Malerei dazu ausersehen, der jungen Nation ein eigenständiges kulturelles Profil zu geben. Die Musik wiederum hat sich die zentrale Position bewahrt, die sie durch die Beteiligung am kulturellen und ideologischen Aufbau des Nationalstaates erlangt hatte. Jean Sibelius (1865-1957) wurde bereits zu Lebzeiten als nationales Monument verehrt; sein bis heute anerkanntes Œuvre hat die Arbeit vieler Komponisten der nachfolgenden Generationen beeinflusst. Erst seit den 1950er Jahren distanzierten sich modernistische Kompositionstechniken von dem als national empfundenen Stil, und die Avantgarde der 1960er Jahre wurde enthusiastisch gefeiert. Die Musik ist bis heute Visitenkarte und eines der besten Exportprodukte der finnischen Kultur.

Volksmusik, Chorgesang, Oper und Unterhaltungsmusik hatten ebenfalls identitätsstiftende Funktionen. In der Pflege der Volksmusik manifestierten sich Heimatverbundenheit und Interesse für die regionale Musiktradition. Der Patriotismus wiederum fand seinen Ausdruck im Chorgesang, vor allem in studentischen Kreisen. Der Aufstieg des Liedes Unser Land zur Nationalhymne war nicht zuletzt eine Folge seiner eindrucksvollen Uraufführung bei einem Studentenfest im Jahr 1848 und seiner häufigen Darbietung bei akademischen und schulischen Veranstaltungen, bei Provinzfeiern und Sängerfesten. In der Chormusik flossen Gesang, Politik, Ideologie und Sprachenfrage zu einer Gefühlslage zusammen, die ihre Wirksamkeit bis heute bewahrt hat.

Der Opernboom ist eine weitaus jüngere Erscheinung; er hatte seine Wurzeln in der Neuorientierung der Musik in den 1970er Jahren und im Aufstieg finnischer Opernkomponisten (Aulis Sallinen und Joonas Kokkonen). Der Erfolg, den ihre Opern im In- und Ausland erzielten, wurde geschickt eingesetzt, um das Projekt eines neuen Opernhauses voranzutreiben. 1993 konnte die Finnische Nationaloper ihr neues Domizil in Helsinki beziehen, zur Freude von Komponisten, Librettisten, Dirigenten und Sängern sowie nicht zuletzt des Nationalballetts, das nun endlich über eine angemessene Bühne in der Hauptstadt verfügt.

Auch die Anfänge des Theaters waren mit dem nationalen Erwachen verknüpft, und auch hier entstand die Aktivität an der Basis. In verschiedenen Teilen des Landes und in beiden Sprachgruppen, in finnisch- wie in schwedischsprachigen Gebieten, wurden Theater-, Deklamations- und Schauspielvereine gegründet, in engem Zusammenhang mit dem generellen Aufschwung der Bürgerorganisationen. In Volkstheatern, Arbeitervereinshäusern, Abstinenzler- und Jugendvereinen, Schulen und bei Veranstaltungen der Studentenorganisationen fanden Aufführungen statt.

Finnische Schauspiele sind weiterhin populär; im Geist des Radikalismus der 1960er Jahre werden vom Theater auch heute noch Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen erwartet. Der finnische Film hat erst in den letzten Jahrzehnten seine Schauplätze vom Land in die Stadt verlegt und internationales Ansehen erlangt, vor allem durch die lebensnahen, persönlichen und minimalistischen, in ihrer Botschaft jedoch universalen Filme der Regisseure Mika und Aki Kaurismäki.

Das Buch, die Literatur in all ihren Formen und das Lesen stehen in Finnland in hohem Ansehen. Das Symbol der akademischen Bildung, die lorbeerumkränzte Lyra, ist in der finnischen Symbolkultur fest verwurzelt. Dahinter steht die Wertschätzung, die Bücher, Lesen, Bibliotheken, Bildung, Schule und Studium in allen Schichten der Gesellschaft genießen. Die finnischsprachige Literatur entstand als Nationalliteratur mit identitätsstiftender Funktion, eine Aufgabe, die sie von der älteren schwedischsprachigen Literatur des Landes übernahm. Die Verbindung dieser nationalen Zielsetzung mit sprachlichen und ästhetischen Aspekten wurde Tradition. Die Literatur hielt auch dann noch an ihrer Mission fest, als die Gesellschaft radikaler, moderner, offener und internationaler wurde. Finnische Autoren konstruieren und beschreiben weiterhin die finnische Identität. Obwohl die literarischen Archetypen des Neuroders und Bauern jetzt urbanisiert sind, bleibt die fundamentale Botschaft dieselbe. Eine Gemeinsamkeit der neueren und der älteren Literatur ist die – heute nicht selten auch parodistische – Selbstreflexion. Sowohl in finnischer als auch in schwedischer Sprache schreibende Autoren erreichen ein großes Publikum.

Ein wichtiger Faktor für die Vitalität der finnischen Kultur ist das Ineinandergreifen der staatlichen Kulturpolitik, des kommunalen Bildungswesens, der privaten künstlerischen Tätigkeit und des Publikumsinteresses. Die Kommunen haben sich auf verschiedenen Ebenen an der Kulturförderung beteiligt; im gesellschaftlichen Reformprozess spielte die Kultur- und Bildungspolitik eine zentrale Rolle. Die grundlegende Reform des Schulsystems und der Universitäten in den 1970er und 1980er Jahren hatte ein konkretes Ziel: vermehrte soziale Gleichberechtigung. Lebenslanges Lernen ist ein allgemein anerkanntes Konzept, wie der breite Sektor der Erwachsenenbildung – Volkshochschulen, Umschulungs- und Fortbildungskurse – zeigt.

Entsprechende Zielsetzungen gelten auch in anderen Bereichen der Kulturpolitik als Richtschnur, wobei Kultur-, Sport- und Freizeitaktivitäten als Dienstleistungen des Wohlfahrtsstaates aufgefasst und auch Randgruppen, etwa Kinder und Senioren, Behinderte und Minderheiten, berücksichtigt werden. Der Staat richtete eine regulierende und fördernde Kunst- und Kulturverwaltung ein, erhöhte die Summe der öffentlichen Subventionen und aktivierte die regionale und lokale Kulturarbeit.

Ausgangspunkt dieser “friedlichen Kulturrevolution” war die Bestrebung, die Bürger geistig und körperlich zu aktivieren, die Kultur zu dezentralisieren und jedem zugänglich zu machen. Dieser Prozess hinterließ in den Städten und Kommunen bleibende Spuren in Form von neuen Kultureinrichtungen – kommunale Theater, städtische Orchester, Museen und Kunstsammlungen. Seit Ende der 1960er Jahre wurden überall in Finnland, auch nach Entwürfen namhafter Architekten, moderne Bibliotheken und Mehrzweckhallen, Kunstmuseen und Kulturzentren, Stadttheater und Konzertgebäude, Musikschulen und Konservatorien, Sportzentren, Eis- und Schwimmhallen errichtet. Bis heute ist der Begriff “Kultur” in Finnland ausgesprochen positiv besetzt.

Zu den Indikatoren eines starken kulturellen Interesses zählen die zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor angesiedelten Kulturtage und -wochen, Festivals, Sommer-, Dorf- und Stadtteilfeste. Im Lauf der Zeit haben sich einige dieser lokalen Veranstaltungen zu bedeutenden Sommerfestivals entwickelt, die das Profil des betreffenden Ortes widerspiegeln. Einige Ortschaften haben sich auf eine bestimmte Kunstgattung spezialisiert und sich in diesem Bereich landesweit, teils sogar international einen Namen gemacht. So werden in Savonlinna Opern aufgeführt, in Kaustinen erklingt Volksmusik, in Kuhmo, Naantali und Mustasaari wird Kammermusik gespielt. In Seinäjoki steht Tango, in Ruissalo Rockmusik und in Pori Jazz auf dem Programm. In kleineren Ortschaften wie Sysmä, Kangasniemi, Porvoo, Inkoo, Joroinen, Viitasaari u.a. werden mitunter ungewohnte Räumlichkeiten für Veranstaltungen genutzt – neben Kirchen und Herrenhäusern beispielsweise auch Tanzböden, Scheunen, Ställe und alte Fabrikgebäude.

Die Frauen in der Gesellschaft

Weibliche Identität in Finnland hat ihre politische Grundlage in dem Bewusstsein, dass die finnischen Frauen 1906 als erste in Europa das allgemeine und gleiche Wahlrecht erhielten. Des Weiteren ist die relativ gleichberechtigte Stellung der Frauen darauf zurückzuführen, dass ihnen schon früh die Bildungswege offen standen und dass die aktive Beteiligung beider Geschlechter am Erwerbsleben als Normalfall gilt. Die ganztägige Berufstätigkeit der Frauen entspricht der alten agrarischen Grundstruktur des Landes. Zum Erwerb des Lebensunterhalts war die Arbeitsleistung der Frauen wie die der Männer in allen sozialen Schichten erforderlich. In kultureller Hinsicht entstand so das Ideal der starken und in ihrem Bereich weitgehend selbstständig arbeitenden Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann das Leben meistert, sei es auf dem Land oder in der Stadt. Viele gut ausgebildete und berufstätige Frauen entscheiden sich heute auch bewusst gegen Ehe und Familie.

Die radikale Frauenrchtsbewegung, die für die urbanisierten Länder Europas typisch war, fand in Finnland keine Verbreitung, da sich bei der Formierung der Bürgergesellschaft ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Geschlechtern entwickelte; Männer und Frauen wurden in gleicher Weise als politische und kulturelle Akteure integriert. Frauen erhielten schon früh Zugang zur Bildung; Mädchenschulen haben in Finnland eine lange Tradition. Schulbesuch und Studium boten Angehörigen beider Geschlechter einen Weg, ihre individuellen Lebensverhältnisse zu verbessern. In der Kriegszeit hatten mehr Frauen als je zuvor die Möglichkeit, an Universitäten und Hochschulen zu studieren, und auch danach konnten die weiblichen Studierenden ihre Position behaupten. Das kulturelle Angebot wird ebenfalls besonders stark von Frauen genutzt.

Der Aufbau des Wohlfahrtsstaates nach 1945 war vorwiegend ein “Projekt der Frauen”. In den 1960er Jahren wurde bei der Diskussion über die Geschlechterrollen der Schwerpunkt auf skandinavische Lösungsmodelle gelegt: Abbau der finanziellen Abhängigkeit der Frau von ihrem Ehemann, Verbesserung des Bildungsniveaus, außerhäusliche Berufstätigkeit sowie Kindertagesstätten und andere familien- und sozialpolitische Dienstleistungen. Nun erwies sich der Staat als “bester Freund der Frau”, indem er die politische Verwirklichung der Forderungen garantierte. Die Stellung der Frau und der Familie veränderte sich in dieser Epoche radikal. Der Eintritt ins Berufsleben erhöhte die Präsenz von Frauen in Politik, Verwaltung, Hochschulen und Medien. In jenen Jahren formte sich das gegenwärtige Modell der Geschlechterrollen: Zum Ideal wurde die Verbindung von Familie und Berufstätigkeit. Das Prinzip der Gleichberechtigung wurde in gesellschaftliche Institutionen, politische Programme und soziale Reformen aufgenommen. Dennoch ist bis heute keine Lohngleichheit erreicht.

In Kunst und Literatur finden sich unterschiedliche Typen der finnischen Frau. Zur Symbolfigur Finnlands wurde im 19. Jahrhundert die Gestalt der bäuerlichen, in Nationaltracht gekleideten “finnischen Maid”. Die weiblichen Gestalten im Kalevala – Aino, Kyllikki und Louhi, die mächtige Herrin von Pohjola – sind bereits starke, durchsetzungsfähige Frauen. In der Blütezeit der finnischen Nationalliteratur wurden arbeitsame, moralisch gefestigte Muttergestalten geschildert, während die männlichen Protagonisten zunehmend Degenerationserscheinungen zeigten. Die finnische Frau, wie sie in der Kunst dargestellt wurde, war die Ehefrau und Mutter auf dem Land, eine Kämpfernatur, die energisch, unermüdlich, arbeitsam und hartnäckig ihren eigenen Weg geht und selten Männerträume erfüllt. Es war die Aufgabe der Frauen, die soziale Ordnung und die Traditionen zu bewahren, weshalb für die so genannten femininen Themen, für Gefühle oder Erotik wenig Raum blieb. Zwar porträtiert die Kunst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt auch urbane Frauen, doch das Rollenmodell der Bauersfrau, die unter dem Druck der Verhältnisse Stärke beweist, sitzt tief. Heute sind es die Künstlerinnen und Schriftstellerinnen, die ernsthafter als ihre männlichen Kollegen das Stadtleben, neue Formen der Zweierbeziehung, Geschlechterrollen, soziale Netze und die (post)moderne Identität zum Thema ihrer Darstellung machen.

Gastfreundschaft und finnische Speisen und Getränke

Das gastronomische Finnlandbild entstand parallel zur Entwicklung der finnischen Identität. Im Wald, im Meer und in den Einöden Lapplands fanden sich typische und zugleich exotische Zutaten wie Bären- und Rentierfleisch, Lachs und Moltebeeren. Auch regionale Spezialitäten wurden hervorgehoben. Im internationalen Vergleich hat Finnland einige kulinarische Stärken. So werden dank der alten Tradition der Selbstversorgung auch heute örtlich verfügbare Zutaten verarbeitet. In Finnland verbindet sich die im Kern westliche Küche mit der interessanten östlichen. Schwedisch-skandinavische und russisch-europäische Einflüsse zeigen sich sowohl in alltäglichen als auch in festlichen Gerichten.

Die Speisen, ihre Zubereitung, die Essgewohnheiten und die Tischsitten haben sich in den letzten hundert Jahren wesentlich verändert. In früheren Zeiten war die soziale Stellung ein entscheidender Faktor: Nur die Wohlhabenden hatten genug zu essen, während Mangel und äußerste Sparsamkeit das Leben der unteren Bevölkerungsschichten auf dem Land wie in der Stadt bestimmten. Selbstversorgung und Vorratshaltung waren in allen Gesellschaftsschichten üblich. Grundlage der finnischen Speisekultur war Getreide, das als Brot und Brei gegessen wurde. Hinzu kamen Kartoffeln und Wurzelgemüse, Hülsenfrüchte, gepökeltes oder geräuchertes Fleisch sowie Fisch, wenn zum Angeln Zeit war. Diese Grundnahrung wurde ergänzt durch Garten- und Waldfrüchte: Beeren, Obst und Pilze. Ein Erbe aus jener Zeit ist die heute noch zu beobachtende Vorliebe für dunkles, nahrhaftes Roggenbrot.

Die Nahrung verbindet die Finnen seit jeher mit ihren ländlichen Wurzeln. Die Viehzucht, die später aufkam als der Getreideanbau, brachte Butter, Milch, Sauermilch und Sahne auf den Speiseplan. Statt Wasser oder selbstgebrautem Bier wurden fortan Milchprodukte zum Essen getrunken. Die Unterschiede zwischen der östlichen und der westlichen Speisetradition gehen teils auf die unterschiedlichen Kochstellentypen zurück: Im Osten Finnlands wurde das Essen langsam im Ofen geschmort, im Westen auf offenem Feuer gekocht. Im Osten dominierten säuerliche Geschmacksnoten, im Westen süße. Im Westen wurde Weichkäse hergestellt, im Osten aber wurde Sauermilch (Quark) verwendet. Westfinnland war die Region des haltbaren harten Roggenbrots und der leicht gesüßten Speisen. Im Osten dagegen wurde jede Woche gebacken; von dort stammen weiches Brot und Piroggen (Karelische Piroggen, Fischpasteten). Fleisch wurde im Westen im Ganzen gebraten, im Osten wiederum in kleine Stücke geschnitten und im Ofen geschmort (Karelischer Fleischtopf).

Die Abwanderung der Bevölkerung vom Land in die Städte führte im 20. Jahrhundert zur Vermischung der Speisetraditionen und zu einer grundlegenden Veränderung der Essgewohnheiten. Saure Speisen wurden von süßen verdrängt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in jedem Jahrzehnt neue Produkte und Gerichte auf den Markt, der Fleischkonsum stieg, und das Angebot an Wurstwaren vervielfachte sich. Obst, Gemüse und außereuropäische Lebensmittel vergrößerten ihren Marktanteil. Auch Fertiggerichte setzten sich durch. Nach und nach vereinheitlichten sich die Konsumgewohnheiten, so dass heute überall, ob auf dem Land oder in der Stadt, weitgehend die gleichen Gerichte gegessen werden. Trotz des unablässigen Zustroms neuer Lebensmittel konnten sich die Grundnahrungsmittel – Milchprodukte, Kartoffeln und Brot – behaupten. Der steigende Lebensstandard brachte neue Probleme: Hatte früher mangelhafte Ernährung Krankheiten verursacht, so sind heute Wohlstandskrankheiten infolge von Überernährung an der Tagesordnung. Von Natur aus gesundheitsfördernde Nahrungsmittel wie Roggen oder funktionale Lebensmittel wie die in Finnland entwickelten, den Cholesterinspiegel senkenden Milchprodukte finden großen Zuspruch, was auch auf die lange Tradition der Ernährungsberatung zurückzuführen ist.

Verändert haben sich nicht nur die Speisen, sondern auch die Essgewohnheiten. Früher wurden in den Familien ein sättigendes herzhaftes Frühstück und zwei warme Mahlzeiten eingenommen. Heute sind infolge der Urbanisierung und der Aufsplitterung des Alltags sowie der Verbreitung von Kantinen- und Schulessen das Kochen daheim und gemeinsame Mahlzeiten seltener geworden. Familienmahlzeiten sind größtenteils den Wochenenden vorbehalten.

Die Finnen sind für ihre Gastfreundschaft bekannt. Wie früher bei den bäuerlichen Festen wird auch heute für Gäste der Tisch reich gedeckt. Neben die traditionelle Kaffeetafel sind andere Formen der Gastfreundschaft getreten. Doch “Zeit für eine Tasse Kaffee”, zu der häufig süßes Weizenbrot, Hefegebäck, Kopenhagener Plunderstücke oder Berliner Pfannkuchen sowie Kekse gereicht werden, ist immer. Der Duft nach frischem Hefegebäck heißt den Besucher willkommen.
Der Wechsel der Jahreszeiten spielt in Finnland eine wesentliche Rolle: Im Sommer sind die Finnen aktiv, im Winter leben sie gemächlicher. Auf die Schnittstellen zwischen den Jahreszeiten fallen wichtige Feste: Weihnachten, Ostern, der 1. Mai, Mittsommer und Allerheiligen. Nicht minder bedeutsam sind Familienfeste. Taufe, Konfirmation und Abitur werden im Allgemeinen zu Hause im Kreis der Verwandtschaft gefeiert. Auch runde Geburtstage werden mit großem Aufwand begangen.
Mit den Jahreszeiten und einzelnen Monaten verbinden sich zahlreiche interessante Spezialitäten. Im Januar werden Quappen, Blini und Rogen gegessen. Im Februar gibt es Erbsensuppe und Fastenrundstücke – mit Mandelmasse und Sahne gefülltes Hefegebäck – sowie nach dem Nationaldichter Runeberg benannte Törtchen. Zu Ostern, im März-April, kommen die Roggenmalzspeise mämmi, Schokoladeneier und Spezialitäten aus der orthodoxen Tradition wie Pascha, Kulitsa und Baba auf den Tisch. Typische Spezialitäten zum 1. Mai sind Hering, Spritzgebäck und sima, ein besonderes Getränk. In den Sommermonaten reifen Gemüse und Beerenfrüchte. Nun gibt es Rhabarber, neue Kartoffeln, Erdbeeren und zahlreiche andere Beeren (Blaubeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Preiselbeeren und Moltebeeren), Pilze und frisches Gemüse. Im August, wenn die Jagdsaison beginnt, ist auch die Zeit der Krebsessen. Im September, dem Brotmonat, wird die Getreideernte des Sommers verarbeitet; nun sind auch die Äpfel reif zur Ernte. Im Oktober richtet sich der Blick aufs Meer: In vielen Orten finden Heringsmärkte statt. Der November mit Allerheiligen und Erntedank ist der Monat der Gänsebraten. Weihnachten wird mit einer reich gedeckten Tafel im Familienkreis gefeiert.

Auswärts essen und trinken

Die Einstellung der Finnen zum Gastronomiegewerbe ist ausgesprochen komplex. In der Agrargesellschaft wurden in der Regel alle Mahlzeiten zu Hause eingenommen; das Wirtshaus befand sich in der Zeit der Pferdekutschen bei den Posthaltereien und hatte die Erlaubnis, Bier und Spirituosen auszuschenken. Die Tradition dieser Schenken blieb bis weit in das 20. Jahrhundert hinein lebendig. Daneben entstanden im 19. Jahrhundert Restaurants in den Städten und im Umkreis der Bahnhöfe, woran heute noch Hotels und Restaurants mit dem Namen “Stadthotel” oder “Gesellschaftshaus” erinnern. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm das Restaurantwesen in Finnland eine andere Entwicklung als im übrigen Europa, was vor allem auf die staatliche Alkoholpolitik zurückzuführen war. Die Prohibition (1919-32) und die anschließende staatliche Kontrolle über Alkoholverkauf, -ausschank und -konsum hatten das Ziel, die Bürger vor den negativen Auswirkungen des Alkohols zu schützen.

Die Prohibition prägte jedoch die Trinkgewohnheiten der Finnen und trug dazu bei, dass die Vorstellung von der “finnischen Trunksucht” Teil des kulturellen Selbstbildes wurde. Angesichts der strengen Kontrolle blühte sowohl die Doppelmoral als auch der Schwarzhandel. Das neue Alkoholgesetz von 1932, das seinen Intentionen nach nicht weit von einem absoluten Verbot abwich, hatte keinen Einfluss auf die herrschende Denkweise. Die Alkoholfrage wurde als ordnungspolitisches und soziales Problem betrachtet. Intensive Kontrolle und die Bestrebung, “das Volk zum richtigen Umgang mit Alkohol zu erziehen”, prägten das finnische Restaurantleben bis in die 1960er Jahre. Selbst heute besteht das System der Kontrolle und der an bestimmte Bedingungen geknüpften Ausschankgenehmigungen in wesentlichen Teilen fort. Veränderungen in der Alkoholkultur brachten die “Freigabe” des Verkaufs von mittelstarkem Bier 1969 und die erhebliche Senkung der Steuern auf Spirituosen 2004. Beides führte zu einem deutlichen Anstieg des Konsums. Finnland ist nach wie vor ein Bier- und Wodkaland; dem Wein hat sich vorwiegend die gebildete städtische Mittelschicht zugewandt. In der Seenregion Mittelfinnlands ist das traditionelle Hausbier weiterhin beliebt.

Die Prohibition und ihre Folgen hinterließen bleibende Spuren in der finnischen Restaurantkultur. Preiswerte Familienbetriebe, wie man sie in anderen Ländern als Café, Pub oder Kneipe kennt, fehlen in Finnland weitgehend, da die strenge Alkoholgesetzgebung ihre Entstehung behinderte. Die von der Mittelschicht frequentierten Musikkneipen sind bis hin zur Inneneinrichtung meist Importe aus England, Irland, Amerika usw. Die Bierstuben in den Vorstädten und auf dem Land und die Gaststätten in den Hochhaussiedlungen sind vielen zu ordinär. Trotz der Liberalisierung der Alkoholpolitik herrscht nach wie vor eine moralisierende Einstellung zum Alkohol. Die finnischen Trinksitten haben sich auch in jüngster Zeit nicht “europäisiert”; rauschorientiertes Trinken ist ein nationales Charakteristikum geblieben, das vom Vater an den Sohn und heute auch von der Mutter an die Tochter weitergegeben wird. Bei gesellschaftlichen Veranstaltungen wird heutzutage meist Alkohol an Stelle von Kaffee ausgeschenkt.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die finnische Restaurantszene in vielerlei Hinsicht gewandelt. Die Zahl der ethnischen Restaurants und der Gourmetrestaurants junger Starköche hat erheblich zugenommen, und zwar hauptsächlich in den Städten, wo es vor allem zum Lebensstil der jungen Generation gehört, auswärts zu essen. Zugleich ist eine Renaissance der Cafékultur zu beobachten, und die Finnen, die seit jeher eine Vorliebe für Kaffee hatten, finden nun auch Geschmack an den verschiedensten europäischen Kaffee- und Milchkaffeevarianten. Kochen ist zum Hobby geworden, wie sich an der Popularität von Fernsehköchen, an der Vielzahl neuer Kochbücher und an den gut besuchten Koch- und Weinkursen ablesen lässt. Das Verhältnis zum Essen hat sich dem europäischen Standard angeglichen. Veränderte Arbeitsbedingungen, kleinere Familien und der Verlust der alten Gemeinschaftlichkeit haben das Bedürfnis, wichtige Momente im Leben festlich zu begehen, nicht verringert. Neben Familienfeiern, den jährlichen Festen und Geburtstagen bieten unter anderem Schulabschluss, Pensionierung oder Berentung, gute Leistungen oder Beförderung, gemeinschaftlich errungene Siege und andere Erfolge Anlass zum Feiern. Jede neue Generation übernimmt immer wieder den traditionellen finnischen Brauch: Auftischen, Freunde einladen und den Abend gemeinsam verbringen!

Dr. phil. Laura Kolbe lehrt und forscht am Institut für Geschichte der Universität Helsinki. Sie ist eine bekannte Historikerin, die sich aktiv an der öffentlichen Debatte beteiligt.

SAUNA

Obwohl immer mehr Stadtwohnungen mit einer Sauna ausgestattet sind, gehört der Saunabesuch als genussvolles Erlebnis vor allem zur ländlichen Umgebung und zum Sommerhaus. Das Anheizen ist “Männersache”: einen Baum fällen, Brennholz hacken, Wasser holen und das Feuer im Saunaofen anzünden. Es ist üblich, dass kleine Kinder gemeinsam mit ihren Eltern in die Sauna gehen; eine unbefangene Einstellung zur Nacktheit ist Teil der Saunatradition. Es gibt Saunas unterschiedlicher Art und Größe. Die Standardausführung hat einen Wärmespeicherofen, einen separaten Waschraum sowie möglicherweise ein Kaminzimmer. Viele Sommerhäuser haben eine traditionelle Rauchsauna ohne Schornstein, die mehrere Stunden geheizt wird; dabei füllt sich der Raum mit Rauch, der zunächst abziehen muss, bevor das Bad in der Sauna beginnen kann. Bei etwa 80 Grad ist die richtige Temperatur erreicht, um auf der Schwitzbank die aufsteigende Hitze zu genießen. Wasseraufgüsse auf den Saunaofen bringen Feuchtigkeit. Das Saunabad und das anschließende Schwimmen machen hungrig und durstig – Bier oder ein anderes erfrischendes Getränk sowie häufig auch eine (in einem Topf auf dem Saunaofen gegarte) Wurst gehören zum Ritual. Für die Finnen ist die Sauna ein Ort der inneren und äußeren Reinigung und ein wesentlicher Bestandteil ihres Wochenendprogramms.

Takaisin ylös